Kunst Politisch machen
Der reine Handel ging dem Geld um mehrere Tausend Jahre voraus. Erst in der Frühzeit der griechischen Antike um 700 v. Chr. entstand das erste Münzgeld unter Pheidon. Vorher basierte der Handel auf indirektem Tausch, Ware für Ware wenn sie benötigt wird. Man bekam das Brot „geschenkt“ und musste im Gegenzug nicht direkt dafür etwas geben, stand aber in einem unauflöslichen gegenseitigen Vertrauensverhältnis zur gesamten restlichen Gesellschaft, dem man seine Dienste und oder Waren ebenfalls ohne Entgelt anbot. Dieses reziproke Abhängigkeitsverhältnis steht im Gegensatz zum dualen Tausch, wie es das Geld vorgibt, an dem zunächst immer nur zwei Handelspartner direkt beteiligt sind. Man muss davon ausgehen dass das Aufkommen von Geld die Antiken Gesellschaften in ihren Grundfesten erschüttert hat. Belegt ist, dass es ungeheure Angst und langfristig Zerwürfnis ausgelöst hat.
Dabei war es zunächst von Vorteil sich auf ein gemeinsames, abstraktes Tauschmittel zu einigen, da man nun den Handel mit Händlern, die nicht zur Gemeinschaft gehörten, entsprechend einfacher und sinnvoller bestreiten konnte. Gleichzeitig mit dem Geld entstand das Sparen, das Horten von Geld, sowie das Prassen, der Luxus. Glaubt man Karl Walker , war Geld erst die Voraussetzung dafür, dass Kunst überhaupt entstanden ist. Zunächst nahm das Geld eine Unruhe der Menschen, da es einen Titel, ein Anspruch auf zukünftige und zwar beliebige Güter darstellt, den das Geld in der Tasche garantiert. Es baut also eine Sicherheit auf.
Gleichzeitig baut jmd., der sich auf Geld verlässt, die Frage mit ein, ob das eigene Verlassen überhaupt gerechtfertigt ist, ob ich für das Geld, was ich heute für eine Leistung erhalte, morgen noch etwas gleichwertiges kaufen kann. Diese Dualität, das Beseitigen von Unruhe und das Gleichzeitige schaffen einer neuen Unruhe ist das große Paradox des Geldes.
Zunächst steckt im Geld ein Möglichkeitsinn, eine bestimmte Menge Arbeit, Korn, Gold etc. Aber sobald ich mit Geld umgehe, akzeptiere ich auch einen ungewisse, irgendwie zu bewältigende Zukunft. Geld ist also verzaubert, denn sobald es in meiner Tasche ist, verliert es an Wert. Die Sicherheit die durch das Aufkommen von Geld entstand, produziert gleichzeitig eine neue Unsicherheit. Der Mechanismus des Geldes ist also wie Klee’s Engel der Geschichte, von Walter Benjamin beschrieben, ein Wesen das rückwärts gewandt in die Zukunft fliegt, nicht wissend was kommt, aber die unmittelbar vergangenen Tatsachen ständig vor Augen habend. Oder wie eine Turbine die sich nach hinten abstößt, um nach vorne zu gelangen.
Diese Unsicherheit verkörpert auch das Prinzip der Sorge schlechthin. Geschichtlich hat sich spätestens seit Diokletian das Geld permanent in seinem Wert verschlechtert. Im Kaiserakt in Faust II wird diese Sorge eindringlich beschrieben:
Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug. Damit die Wohltat allen gleich gedeihe, so stempeln wir gleich die ganze Reihe. Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat“

Nun hat sich im Laufe der Geschichte folgende Schere immer weiter gespreizt: Während neue Güter nach gewisser Zeit immer erschwinglicher werden, ist der Mensch stets bemüht dem Preisverfall der Waren etwas entgegenzusetzten, indem er sich der Suche nach dem Neuen widmet. Nur so kann er auch zukünftig an das Geld potentieller Käufer zu gelangen. So wurde zB. das Automobil, oder die Elektronik aus Fernost verglichen mit ihrer Anfangszeit zauberhaft erschwinglich. Gleichzeitig sucht der Mensch nach immer neuen Dingen die er in Geld ausdrücken kann. So werden Dinge ökonomisiert, die dafür vorher nie in den Verdacht gekommen wären.
So sind heute Wasser, saubere Luft, ein stiller Ort (Wellness) ebenfalls mit Geld taxierbar. Es ist die Sehnsucht auch hier Preise zu setzen. Nicht weil man dafür zwangsläufig sein Geld ausgeben möchte, sondern weil man in der Lage sein möchte es sich kaufen zu können. Nicht-Güter werden so zu Gütern.

Bei der Kunst verhält es sich ähnlich. Zunächst mal verkörpert sie im Gegensatz zu klassischen Gütern, die ein materielles Bedürfnis befriedigen, etwas Unnützes. Sie hat weder Nutzen noch eine Aufgabe außerhalb ihrer selbst. Ihr Preis kann daher nur ein abstrakter sein. Der Käufer von Kunst begeht also intellektuell — wenn auch unbewusst — eine doppelte Pirouette im Geiste, den Wert des Geldes und den der Kunst sich einbildend.
Gleichzeitig schafft die Preissetzung einzelner Kunstwerke eine neue Art der Vergleichbarkeit und Ordnung.
Künstler haben seit den Aufkommen der sog. historischen Avant-garde Bewegungen versucht diesen Warenwert von Kunst und seine daraus folgende ökonomische Einordbarkeit zu unterwandern. Sei es durch DADA, Surrealismus, Futurismus, das Aufkommen von Video Kunst, Land Art, Performance &c, &c. Wie Peter Bürgers Analyse treffend zeigt ist es aber der Kunst nie vollständig gelungen durch eine noch so großen Loslösung (zB Anti-Art) und gleichzeitigen Annäherung an das Leben, die Utopie Kunst in die „Wirklichkeit“ zu überführen, zu verwirklichen. Immer gelang es nur teilweise und spalteten die Künstler sich auch noch so sehr vom System Kunst ab und biederten sie sich noch so sehr dem Leben an, am Ende gingen die Werke trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen in der Begierlichkeit des Kunstmarktes auf. Hier liegt auch meiner Meinung der große Widerspruch solcher künstlerischen Ausflüge. Das System Kunst ist eben wie der eingangs erwähnte Kunsthochschulabsolvent, vielleicht unbewusst bemerkt, nicht unabhängig vom Gefüge der Wirtschaft. Der Künstler um eigenständig arbeiten zu können, bedarf zunächst an einer gewissen Menge Geld, dieses erst verschafft ihm eine gewisse Autonomie . Er kann also indem er aus dem System der Kunst auszubrechen versucht, trotzdem, der zumindest grob gegebenen Rahmenbedingungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht entrinnen. Kurz, er kann das System des Geldes nicht hinter sich lassen. Daher sind eben jene Bemühungen a priori zum Scheitern verurteilt. Es bliebe an einer eingehenden Untersuchung als es mir hier möglich ist, dieses inhärente Scheitern an historischen und aktuellen Beispielen zu illustrieren und meine Thesen einer weiteren Prüfung zu unterziehen.

Bleibt die Frage, wenn Kunst sich selbstständig aus den bestehenden Verhältnisse niemals völlig befreien zu vermag, ob sie denn überhaupt politisch sein kann? Hier spielt die Beziehung der schon erwähnten Heteronomie auf der einen und der Autonomie auf der anderen Seite im Zusammenspiel mit dem Geld eine Rolle. Soll Kunst vollständig im Leben aufgehen, so dass es nicht mehr als Kunst kenntlich ist? Liegt des Kunstwerks politisches Potential in der Beschäftigung mit den Mißständen der jeweiligen Zeit expressis verbis oder so wie Adorno in dem Nachwirken der Nachkriegszeit forderte, in seiner vollkommenen Autonomie. Anhand einer Annäherung an seine Konzeption vom autonomen Kunstwerk versuche ich abschließend zu erläutern, dass Kunst nur im Widerspruch zu sich selbst politisch sein kann . In der Zeit unmittelbar nach dem industriellen Massenmord des Naziterrors und der strukturellen wie intellektuellen Zerstörung großer Teile der westlichen Welt, schien es kaum möglich anders als durch den Widerstand, den die Abstraktion, die Autonomie des Kunstwerks bot, Kunst auch nur im Ansatz rechtfertigen zu können . Adornos Konzeption der Autonomie des Kunstwerks geht aber weiter, als sich auf bloß formaler Ebene mit Abstraktion zu beschäftigen. Heutzutage würde und wird die reine Lehre eines solchen Modernismus als eben nicht mehr politisch betrachtet werden können . Wie der Kunsthochschulabsolvent findet sich auch bei Adorno die These wieder, dass in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft das Kunstwerk (genau wie die Ware) sich zunehmend durch seinen monetären Wert darstellt. Aber gerade weil das Kunstwerk eben im direkten Sinne völlig nutzlos ist, kann es für Adorno hieraus kritisches Potenzial entwickeln. Das autonome Kunstwerk bietet ihm zufolge die einzige Strategie die Macht und des Logik des Geldes zu unterwandern. Dadurch dass es von jeglicher “menschlichen Spur” befreit ist, kann das Kunstwerk so das Konzept der Ware unterlaufen. Etwas wird begehrt und erzielt bisweilen astronomische Preise, ohne eigenen Nutzwert innezuhaben. Hier offenbart das autonome Kunstwerk ihr Potential, die Macht des Geldes selbst zu pervertieren, indem es dessen größte Perversion ist. Wenn Form, die sich vom Leben ableitet, von Abstraktion im Kunstwerk abgelöst wird (im Zusammenhang mit der Nutzlosigkeit), kommt es zu einer Um-kehrung der Ideen. Dies, so Adorno ist das kritische Potential von autonomer Kunst. Er ist sich aber auch bewusst, dass in dem Moment, in dem sich die Kunst dieses Zusammenhangs bewusst wird, sich diese immanente Kritik des Geldes auflöst. Er nimmt die Krise der Moderne in der Ästhetischen Theorie, also bereits vorweg, wenn er sagt: “Sie muß sich gegen das wenden, was ihren eigenen Begriff ausmacht, und wird dadurch ungewiß bis in die innerste Fiber hinein.” In diesem Sinne schließt er also Anti-Art bzw. heteronome Strömungen in der Kunst aus seiner Autonomie Überlegung nicht aus sondern impliziert diese als Bedingung. Nur aus der Verschränkung beider Pole kann das Kunstwerk in seiner Autonomie kritisch sein . Die Idee des “Neuen” schält sich also als normativ in diesem Zusammenhang heraus. Denn ohne die ständige Erneuerung läuft Kunst fortwährend Gefahr in einen apolitischen Traditionalismus zu geraten, einen dysfunktionalen Modernismus. Um Kunst nicht zu einer belanglosen formalistischen Lehre, zu bloßem Dekor werden zu lassen muss es sich ständig mit seiner eigenen Unzulänglichkeit und mit dem Gedanken von Anti-Art beschäftigen.

Gerade dadurch bekamen Bewegungen wie die Pop Art als eigentliche — oberflächlich betrachtet — totale Antithese zu Adornos Konzeption ihr kritisches Potential. Sie schaffte erneut einen Bruch mit dem in die kritischen Debatten assimilierte Theorie eines autonomen Kunstwerks in der Moderne. Die Betrachtung vom Tod der Kunst, die in der Folge deswegen oft aufgestellt wurde, kann gerade durch diese radikale Antithese — die eigentlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gehen müsste — zeitweise aufgelöst werden: und ebenso kann dadurch, wenn auch nur momenthaft, die Verschränkung von Kunst und Leben politisch werden.
In diesem Sinne auch Joghurt.
 

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